Über die Qualität von Rollenspielen (Wall of Text)

Von | 8. Januar 2017

Was sind gute Rollenspiele?

Ich habe neulich darüber geschrieben, wie Rollenspiele gestrickt sein müssen, damit sie gut für mich sind. Für mich, also rein subjektiv.

Nun habe ich neulich im Hangout – nicht zum ersten Mal – die Frage diskutiert, ob es objektiv gute oder zumindest bessere und schlechtere Rollenspiele gibt und ob das Erreichen von Designzielen ein Merkmal hierfür sein kann. Ich vertrat die Meinung, dass beides nicht Fall ist.

Nun ist es aber so, dass solche Diskussionen bei mir im Kopf immer nacharbeiten. Bin ich mir sicher? Hatte ich recht oder habe ich es mir zu einfach gemacht? Da gibt es nur eine Lösung: ich mache einen inneren Exkurs (den Begriff lasse ich mir patentieren). Hier also meine Gedankengänge und mein persönliches Fazit.

Definitionskram

Ich habe bereits darüber geschrieben, warum „Rollenspiel“ ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Hobbies ist und wie leicht es ist in solchen Diskussionen unterschiedliche Dinge zu meinen, wenn doch alle vom gleichen reden. Nun, das wollen wir hier einfach mal ignorieren. Mit Rollenspielen meine ich im Folgenden den breitesten Konsens in unserer Internet-Community, also alles, was sich zwischen zwei Buchdeckel pressen lässt, den Konsum vom Junkfood fördert und am Ende kommt – absichtlich oder nicht – sowas wie eine Geschichte heraus. Hier soll es nicht um Kinkerlitzchen gehen.

Aber es werden immer wieder in diesen Diskussionen Strohmänner ausgepackt: „wir sind uns doch wohl einig, dass ein Rollenspiel qualitativ schlecht ist, wenn es nicht lesbar/voller widersprüchlicher Regeln, in weißer Schrift auf weißem Grund geschrieben/etc. ist“.

Das sieht für mich zunächst wie ein Fehlschluss aus. Es geht ja darum, die Qualität von Spielen zu bemessen. Das Mindestkriterium, bevor wir ein Produkt überhaupt beurteilen können, ist doch, dass es sich um ein Produkt handelt, das zumindest die Grundvoraussetzungen so weit erfüllt, dass es nach allgemeinem Konsens ein halbwegs funktionierendes Rollenspiel ist. Sonst unterhalten wir uns noch darüber, um auf unseren Hangout zurückzukommen, ob Tische nicht furchtbar schlecht designte Brotaufstriche sind. Vorab: Es ist keine Fehlschluss, nur ist das Argument an falscher Stelle. Dazu weiter unten mehr.

Definieren müssen wir aber schon noch etwas. Nämlich: Wann ist etwas relevant (also ein Kriterium) für das Beurteilen eines Spiels und wann gilt ein Spiel als gelungen?

Die Relevanz

Relevant ist ein Merkmal dann, wenn es Einfluss auf das Spielerlebnis hat? Das sei darum so definiert, weil Rollenspiel kein Selbstzweck ist. Zwar gibt es viele unterschiedliche Ziele (Erleben einer Geschichte, Erzählen einer Geschichte, Entspannung, Pflegen gesellschaftlichen Kontakts, uvm.), aber das spielt für unser Ergebnis keine Rolle, weil es uns reicht, wenn der Einfluss auf irgendeine Form des Spielerlebens geschieht. Egal wie! Völlig Wurscht, wie, Hauptsache dass! Denn wenn ein Kriterium keinen Einfluss auf das Spielerlebnis hat, ist es für das Spiel nicht relevant und damit eben nur ein Scheinkriterium oder gar keines.

Aber es gibt ein Problem: Das Spielerlebnis findet in weiten Teilen im Kopf statt und ist ein weicher Faktor. Das Spielerlebnis ist beeinflussbar von Launen, Präferenzen und so Sachen wie dem Wetter oder ob der Spielleiter gerade eine Scheidung hinter sich hatte. Das sind aber alles Dinge, die wir einem Rollenspiel nicht vorwerfen können, da das Produkt nichts dafürkann.

Es stellt sich außerdem die Frage, was dem Spielerlebnis zugerechnet wird. Gehört das Lesen der Regeln dazu? Oder geht es nur um das, was am Ende beim Spiel herauskommt? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es zu kurz gegriffen wäre, den Zugang zum Spielerlebnis außen vor zu lassen. Ein Regelwerk, das theoretisch bleibt, also den Zugang zum theoretisch möglichen Spielerleben erschwert, ist sicher kein Spiel, das wir als gelungen bezeichnen würden.

Wir müssen die Relevanz also weiter einschränken: Relevant ist ein Merkmal dann, wenn es Einfluss auf das Spielerlebnis oder den Zugang zum Spielerleben hat und direkt aus der Beschaffenheit des Werks begründet ist.

Es wird Grenzfälle geben. Ganz klar. Die gibt es immer. Wichtig ist auch zu wissen, dass Relevanz eine Skala sein kann und kein binärer Wert sein muss. Merkmale können mehr und weniger relevant sein. Dann wird es wieder subjektiv. Wir beantworten diese frage zunächst dem Grundsatz nach.

Wann ist ein Spiel gelungen?

Güte kann ich ja nur im Sinne einer Zielerreichung feststellen. Und wir haben ja schon geschrieben, dass „Rollenspiel“ ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Spiele mit sehr unterschiedlichen Spielstilen ist. Wir müssen also sehr abstrakt bleiben, wenn die Definition allgemeingültig sein soll.

Der viel beschworene Spielspaß als Kriterium wird uns nicht weiterbringen. Er ist der Gipfel der Subjektivität und der heilige Gral des Spiels.

Es hilft uns ein wenig weiter, wenn wir das Werk als Handwerk verstehen. Handwerk darf aber nicht mit persönlicher Zielerreichung verwechselt werden. Wenn das Ziel schlecht oder schlecht definiert ist, dann kann das Produkt besser werden, wenn der Macher sein Handwerk eben nicht versteht. Wir wollen aber nicht beurteilen, wie gut der Designer ist – das wäre eine eigene Diskussion wert, wir wollen wissen, wie gut das fertige Produkt ist! Gutes Handwerk ist es also dann, wenn das Produkt eine hohe allgemeine Zielerreichung aufweist.

Wir müssen die Zielerreichungskriterien allgemein, also vor dem Input des Designers festlegen. Uns interessiert die Erreichung des Ziels „gutes Rollenspiel“, nicht die Zielerreichung der womöglich willkürlichen Ziele des Designers. Das ist essenziell! Der Tisch kann ein guter Tisch sein, auch wenn er eigentlich als schlechter Brotaufstrich designt wurde.

Damit ein Rollenspiel funktioniert muss das Merkmal zumindest auf eines der folgenden Ziele einzahlen, die jedes Rollenspielregelwerk haben muss (ganz abstrakt):

  • Das Spiel wird dem Spieler in Inhalt und Ablauf richtig vermittelt
  • Der beschriebene Spielablauf führt zum guten Gelingen mindestens eines möglichen Spielziels von Rollenspielen. Es muss ausdrücklich nicht das propagierte Spielziel sein (dazu später mehr)! Es muss nur zu irgendeinem möglichen Spielziel beitragen, das rollenspielzugehörig ist.

Demzufolge wären objektiv qualitativ wertende relevante Merkmale zum Beispiel: Konsistenz der Regeln, Verständlichkeit der Sprache, Zahl der Rechtschreibfehler, Vollständigkeit der Regeln, Widerspruchsfreiheit der Regeln, etc.

Geht das denn?

Mensch, Jens, Du alter Genius! Das ist eine verdammt gute Frage! Kann ich das denn überhaupt Messen? Kann ich messen, ob die Regeln konsistent sind?

Die Antwort ist natürlich wieder das philosophische „es kommt darauf an“. Duh! Nicht alle diese Merkmale lassen sich objektiv hart messen. Aber das ist vielleicht auch gar nicht erforderlich.

Manche Merkmale lassen sich hart objektiv messen (Zahl der Rechtschreibfehler), manche lassen sich nur in Teilen objektiv messen (Widerspruchsfreiheit der Regeln) andere sind sehr subjektiv (Verständlichkeit der Sprache). Das ändert aber nichts daran, dass diese Merkmale objektiv relevant und qualitativ eindeutig dimensioniert sind (in Richtung, nicht Skala).

Die Messbarkeit der objektiven Kriterien ist also nicht immer voll gewährleistet. Das macht aber nichts.

Fazit!

Ich habe meine Meinung ein Stück weit geändert. Es gibt tatsächlich Kriterien, die objektiv die Qualität eines Rollenspiels mitbestimmen.

Das Wesensbestimmende am Rollenspiel ist aber nun mal, dass es eine Sache der Fantasie ist. Es gibt träumerische Elemente, emotionale Elemente, Fantasie und Fantastik. Rollenspiel findet im Kopf und in Interaktion statt. Vorlieben, Gruppendynamiken, Vorgeschichte der Spieler … all das ist nicht objektiv und doch hochgradig relevant für den Erfolg eines Spiels am Spieltisch.

Manchmal werden Regeln abgelehnt, weil sie sich nicht richtig „anfühlen“, weil sie zu abstrakt sind oder, weil einem Würfel lieber sind als Karten. Manchmal weiß man selbst nicht, warum man was mag oder nicht.

Das heißt, Rollenspiele objektiv zu bewerten führt nur zur Klärung der Frage, wie gut ein Rollenspiel darin ist, Rollenspiel zu sein. Das war schließlich der Maßstab. Es führt nicht zur Klärung der Frage, ob ich mit einem Rollenspiel, das objektiv mehr falsch macht, eventuell nicht mehr Spaß haben werde, weil meine subjektiven Bedürfnisse besser befriedigt werden.

In diesem Sinne ist eine objektive Bewertung möglich. Ob sie sinnvoll ist, muss jeder für sich entscheiden. Aber die Beantwortung der Frage „ist das Rollenspiel gut gemacht?“ finde ich persönlich schon wichtig.

Randdiskussionen

Mit diesem – für mich außergewöhnlich ausführlichen – Blogeintrag habe ich natürlich nur an der Oberfläche gekratzt. Es gäbe noch viele Fragen zu klären. Ist die Werbung zum Beispiel Teil eines Produkts? Ist Talislanta ein schlechteres Rollenspiel, weil auf dem Klappentext „no Elves“ steht, im Innern aber mindestens drei Varianten von Elfen zu finden sind? Ist Artwork im o.g. Sinne „relevant“, weil ich bei mir feststelle, dass es – ganz subjektiv – Einfluss auf mein persönliches Spielerleben hat?

Ich will die Sache, die bereits auf drei Word-Seiten angewachsen ist, nicht komplizierter Machen, als sie eh schon ist und erspare mir die Randschauplätze. Wer jetzt die Frage nach den objektiven Qualitätskriterien für Rollenspielblogbeiträge aufmachen möchte: Nur zu! Meiner ist definitiv zu lang.

Habe fertig. Danke für die Aufmerksamkeit.

Als Belohnung für diejenigen, die sich bis zum Ende durchgebissen haben, noch ein übler Cartoon. Bitteschön:

Vampire gegen Wer-Kreaturen. Der Klassiker!

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